Klassismus
Sprache
Klassismus, Sprache und Bildung

Es wird wenig über Klassismus gesprochen, dennoch spielt Klassismus eine Rolle in der Bewertung von unterschiedlichem Sprachgebrauch. In den Medien wird oft ein geübter Umgang mit akademischer Sprache und Fachbegriffen vorausgesetzt. Sprache kann so ausgrenzen und ausschließen und versperrt Menschen den Zugang zu Informationen und Öffentlichkeit. Mit dieser akademischen Norm geht auch eine Wertung einher. Menschen, die sich nicht akademisch ausdrücken wollen oder können, werden weniger ernst genommen. Oft wird über von Klassismus Betroffene geforscht oder diskutiert, ohne dass diese selber dazu sprechen können. An vielen Schulen wird Arbeiter:innenkindern oder Jugendlichen mit Armutserfahrungen unterstellt, sie hätten Sprachrückstände. Ihre Sprache wird oft als „anders, direkter, einfacher“ und somit auch schlechter dargestellt.
Wie spreche ich?
Wie kann ich es vermeiden Klassismus
auf sprachlicher Ebene zu reproduzieren?
Teste zuerst dein Wissen!
Die Reflexion der eigenen Sprache ist ein guter Anfang, um klassismussensible Medien zu produzieren. Überprüfe in folgendem Quiz, wie gut du über Begrifflichkeiten in Bezug auf Klassismus Bescheid weißt.
NO GO!
Begriffe und Ausdrücke,
die zu vermeiden sind!
Der Ausdruck „sozial schwach“ unterstellt Menschen mit geringem Einkommen nicht ausreichend soziale Fähigkeiten zu haben.
Der Ausdruck ist irreführend und sollte vermieden werden, da dieser Begriff Menschen mit geringem Einkommen einen Mangel an sozialen Fähigkeiten unterstellt.
Das Wort „Trash“ heißt Abfall, Müll. Im täglichen Sprachgebrauch wird es für bestimmte Fernsehformate, Musik- oder Kleidungsstile benutzt. Bei sogenannten „Trash“-Partys werden z.B. Stereotype von Menschen mit Armutserfahrung inszeniert, um sich von diesen abzugrenzen. In dieser Abgrenzung liegt eine enorme Abwertung bestimmter Lebenswelten und eine Erhöhung sogenannter „Hochkultur“.
Quelle: Tanja Abou im Interview in: Abou, Tanja/Seeck, Francis/Theißl, Brigitte/Witte, Martina (2021). Feministischer Klassenkampf – Strategien gegen Klassismus und Akademisierung aus (queer-) feministischer Perspektive. In: Francis Seeck/Brigitte Theißl (Hg.). Solidarisch gegen Klassismus – organisieren, intervenieren, umverteilen, S. 35–44.
Der Begriff „asozial“ sollte unbedingt vermieden werden. Die Stigmatisierung, Ausgrenzung und Verfolgung, die der Konstruktion „asozial“ zugrunde liegen, haben eine komplexe Geschichte:
Der Begriff tauchte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Literatur auf und fasste von Anfang an pauschal negative Zuschreibungen und „abweichendes Verhalten“ wie „Arbeitsscheue“ oder „Unangepasstheit“ zusammen. Durch das Fehlen einer eindeutigen Definition konnte das Stigma der „Asozialität“ in den 1920er Jahren beliebig auf Personen und Personengruppen ausgedehnt werden und so nahezu jedem Ausschluss und jeder repressiven Maßnahme Legitimation verleihen. Im Nationalsozialismus wurden Menschen als sogenannte „Asoziale“ verfolgt, in Anstalten, Arbeitshäuser oder Konzentrationslager deportiert, zu Zwangsarbeit gezwungen, zwangssterilisiert und ermordet, darunter Wohnungslose, Empfänger:innen von Sozialleistungen, Sinti:zze und Roma:nja, Jüd:innen und Juden, politisch Verfolgte, Schwule und Lesben, Prostituierte, Suchtkranke, Unterhaltssäumige sowie zum Teil auch ihre Familienangehörigen. Nur die wenigsten Opfer haben eine Rehabilitierung erfahren und/oder eine Entschädigung erhalten. Die Aufarbeitung dieser Verbrechen sowie die notwendige Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Kontinuitäten verläuft bislang sehr schleppend.
Erst 2020 beschloss der deutsche Bundestag, die als sogenannte „Asoziale“ und als „Berufsverbrecher“ Verfolgten offiziell als NS-Opfer anzuerkennen. Sie wurden sowohl in der BRD und DDR als auch innerhalb der verschiedenen Verfolgtengruppen jahrzehntelang nicht als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt. Immer noch dienen das Stigma „Asozialität“ und die heute damit verbundenen Begrifflichkeiten dazu, ganze Bevölkerungsgruppen abzuwerten und auszugrenzen.
Quelle: Stegemann, Dirk: „Arbeitsscheu“ und „asozial“ in GID 220, Oktober 2013, 29. Jahrgang.
EMPFEHLUNG
Begriffe und Ausdrücke,
die zu empfehlen sind!
Durch die Markierung der Betroffenheit wird deutlich, dass „arm“ sein keine Wesenseigenschaft darstellt und der Lebensumstand von den betroffenen Personen nicht selbst gewählt ist bzw. wird.
Der Begriff Armutserfahrung drückt aus, dass Menschen, die Armut erfahren, durchaus auch Expert:innen ihrer (Lebens-)Situation sind.
Der Begriff weist darauf hin, dass Armut mit Benachteiligungen verbunden und strukturell bedingt und verankert ist.
Der Dokumentarfilm „…Dass das heute immer noch so ist – Kontinuitäten der Ausgrenzung“ (2016) der Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e.V. in Kooperation mit der Österreichischen Lagergemeinschaft schildert exemplarisch die Geschichte von Verfolgung und Stigmatisierung sogenannter „Asozialer“ im Nationalsozialismus.
Mehr dazu!
Klassismus und Sprache
Hier findest du eine Sammlung
an Begriffen und Ausdrücken,
die du vermeiden solltest und
jene die du verwenden solltest!
Über Klassismus sprechen!
#unten - Online Debatten
und Klassismus
Der Hashtag #unten taucht seit 2018 verstärkt in den Sozialen Medien auf. Unter diesem Hashtag teilen Menschen ihre Erfahrungen mit Klassismus und sozialer Diskriminierung. Sie berichten über diskriminierende Vorfälle, sprechen über Ängste und Wünsche und zeigen die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Zugängen auf.

Lizenz: CC BY-ND Namensnennung, keine Bearbeitung; Video von: Team Diversify! für Diversify! Webseite für diversitätsbewusste Mediengestaltung
Videoaufnahme: November 2018
„Der Hastag #unten macht es möglich, auf eine sehr niederschwellige
Art und Weise die eigene Biografie und eigene Erfahrungen zu
thematisieren“ sagt Tanja Abou.
Tanja Abou ist Social Justice Trainerin und Sozialarbeiterin und Nenad Čupić ist Trainer und Berater für Antidiskriminierung. In diesem Interview sprechen die beiden über die Entstehung des Hashtags #unten und über eine Ergänzung des Hashtags #oben.
(Un)Sichtbarkeit
Wer spricht eigentlich über Klassismus
und welche Folgen hat das?

„Beim Thema soziale Ungleichheit
sollten nicht nur von
Klassismus Betroffene sprechen,
während alle anderen
schweigen und weiter versuchen
ihre Klassenprivilegien zu verstecken.“
Francis Seeck im Beitrag „von #unten und #oben – Wir müssen übers Erben sprechen“ auf kleinerdrei.org
„Immer wieder fühle ich mich verpflichtet, Anfragen für (politische) Podien oder Reden auch anzunehmen. Im Gegensatz zu meiner Familie habe ich die Möglichkeit, öffentlich zu sprechen, also sollte ich es tun. Dabei kostet es viel Mühe und Arbeit, so aufzutreten, als sei dieses öffentliche Sprechen etwas Selbstverständliches für mich.“
Peggy Mädler in: https://checkyourhabitus.com, „lesen verpflichtet“, S.16 (de)
„check your habitus“ ist eine vielstimmige poetische Selbstbefragung zum Thema »Habitus und Milieuwechsel«, kuratiert von Daniela Dröscher.
Die Debatte über Klassismus und soziale Ungleichheit ist oft unsichtbar oder wird unsichtbar gemacht. In den Medien wird oft nur eingeschränkt oder gar nicht über Klassismus und die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft berichtet. Besonders die expliziten individuellen Auswirkungen und strukturellen Ursachen werden selten thematisiert. Das fehlende Benennen von Klassismus zeigt:
Die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder Position wird nicht als gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt. Oft liegt es an Betroffenen, für Sichtbarkeit und die Thematisierung von Klassismus einzutreten.
Folgen
- Menschen, die durch ihre soziale Herkunft diskriminiert werden, müssen oft sehr viel preisgeben. Das führt dazu, dass sie oft kein Recht auf Privatsphäre haben. Dies ist eine Erfahrung die von Armut betroffene Menschen häufig machen müssen, z.B. beim Jobcenter. Wenn also nur Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft diskriminiert werden, über soziale Ungleichheit sprechen werden sie ggf. wiederholt diskriminiert, da ihr Recht auf Privatsphäre nicht ausreichend geschützt wird.
- Oft wird über Menschen, die Armutserfahrung haben, gesprochen und nicht mit ihnen. Die Perspektive Betroffener ist relevant, sonst werden sie unsichtbar gemacht. Mit ihnen sollte klassismussensibel gesprochen werden.
- Menschen, die durch ihre soziale Herkunft privilegiert werden, müssen sich dazu oft nicht äußern. Dadurch wird die strukturelle Dimension von Klassismus unsichtbar gemacht und Hierarchien werden aufrecht gehalten.
Zum Nachdenken!
Sprache und Medien
Die Sprache, die meist in Medien gesprochen oder geschrieben wird, ist eine akademische Sprache beziehungsweise eine Sprache, die den sprachlichen Codes privilegierter Bevölkerungsgruppen angepasst ist. Bei Berichten mit und über Menschen, die durch ihre soziale Herkunft diskriminiert werden, wird über sie geschrieben / gesprochen oder sie werden zitiert. Sprechen sie für sich selbst (z.B. in Form eines Zitats) fällt ihr Sprachgebrauch möglicherweise aus dem sprachlichen Standard des Mediums heraus. Dadurch werden die Betroffenen wiederum als „Anders“ dargestellt.
Hast du eine Haltung dazu? Wie gehst du in deiner Medienproduktion damit um? Sollte sich die Standard-Sprache der Medien ändern?